
"Muss man sich da anfassen?" fragte mich vor kurzem eine Frau, die gerne tanzt und sich für Biodanza interessierte. Oh, dachte ich, gute Frage, denn ich weiß, es ist so eine Sache mit der Berührung.
Wir brauchen sie, wir haben Angst davor, wir sehnen uns danach, wir lehnen sie ab, wir mokieren uns darüber, kurzum, ein entspanntes gutes Verhältnis dazu haben nur wenige Menschen.
Wenn du Biodanza googlst oder bei Youtube stöberst, findest du dort viele Bilder: tanzende, fröhliche Menschen, Menschen allein und welche in nahem Kontakt, z.B. in Umarmungen. Vielleicht findest du das befremdlich? Mir ging es so!!!
Allerdings gab es 2003, als ich Biodanza kennenlernte, noch kaum Bilder im Netz, ich habe es live erlebt: Ich wollte tanzen, kam zum Schnuppern zu einem Biodanzaabend, und eine Frau, die kurz nach mir den Raum betrat, umarmte etliche, dort schon wartende Menschen, zur Begrüßung. "Oh", dachte ich, "wenn das hier dazugehört ist das nichts für mich. Fremde Menschen umarmen, das will ich nicht!"
Kein Wunder.
Berührungsängste - unsicherheit - Einsamkeit

Es gab in mir eine tiefe Verunsicherung. Aufgewachsen in einer Zeit, in der alte religiöse und moralische Regeln meine Eltern noch fest im Griff hatten, war ich recht berührungsarm aufgewachsen. Die Berührung war verbannt, sie war in die Schublade „Unsittlichkeit und Sex“ gestopft und fest verschlossen worden.
Inzwischen weiß ich, ein tiefes Grundgefühl von Sicherheit und Geborgenheit wächst vor allem durch immer wiederkehrenden, verlässlichen, achtsamen Körperkontakt mit vertrauten, liebevollen Menschen in der Kindheit. Doch da viele Eltern sehr verunsichert sind, selber wenig Berührung erfahren haben, kein intuitives Gespür mehr entwickeln konnten für dieses Grundbedürfnis ihrer Kinder, wird dieses Urvertrauen nicht aufgebaut. Stattdessen herrscht ein diffuses Einsamkeitsgefühl, Angst vor Nähe, vor Körperkontakt, ein sehr unsicherer Umgang mit Berührung gegenüber fremden und vertrauten Menschen. Auch das Gefühl, im eigenen Körper nicht zuhause zu sein, hat oft hier seine Wurzeln.
Gerade, weil ich all das so gut kenne, weiß ich, dass es so sein kann, und, dass es nicht so bleiben muss.
ein lob der berührung

Durch Berührung lernen wir die Welt kennen, tasten und fühlen, schon im Mutterleib: weich, hart, rau, warm, kühl, weit, eng, angenehm, unangenehm... wir orientieren uns, differenzieren, und bekommen ein Gespür für das, was gut tut.
Berührung hat eine große Kraft, sie kann nähren, stärken, verbinden, Vertrauen schenken, trösten, beruhigen, anregen und entspannen, Lust wecken, Wohlbefinden hervorrufen...sie kann auch verletzen. Berührung kann schützen, Sicherheit und Zugehörigkeit vermitteln, Frieden schaffen.
Berührung ist Kommunikation auf einer urmenschlichen Ebene. Wenn uns die Worte fehlen, eine zarte Geste, eine Hand auf der Schulter, eine warme Umarmung, spricht weit mehr als Worte es könnten.
Berührung in Verbindung mit Herzenskraft und Achtsamkeit kann erstaunlich heilsam wirken, hat auf körperlicher und seelischer Ebene in der Regel sehr angenehme Nebenwirkungen und ist nicht verschreibungspflichtig. (Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker!)
die welt berühren
Wenn du Lust hast, und denkst, ja, so ein wenig mehr berühren und berührt werden täte mir gut, dann lass dich nicht aufhalten. Ich kann es nur empfehlen.
Lass deine Fingerspitzen über einen weichen Stoff gleiten, ertaste die raue Oberfläche eines rohen Holzes, die pelzige Haut eines Pfirsiches, berühre das feuchte Gras, die krümelige oder feste Erde oder eine runzelige harte Walnußschale.
Du kannst auch damit spielen, oder mit den Dingen, die du berührst, tanzen. Hier ist ein kleiner Film, den ich dazu inspirierend finde:
Berührung ist nur gut wenn ich mag!

Auch im Kontakt mit anderen Menschen kann es sehr hilfreich sein, einfach wie Kinder spielerisch Berührung wieder in das Leben hereinzulassen, mal flüchtig, mal zärtlich, mal handfest, mal geschmeidig, wie es gerade passt. Dabei gibt es nur eins, das wir beachten sollten, eine Regel, die ich beim Biodanza gelernt habe:
"Berührung tut nur gut wenn ich mag!"
Schau ob du magst, ob der andere mag.
Gerade im Umgang mit Berührung im zwischenmenschlichen Bereich sind Achtsamkeit, gegenseitige Wahrnehmung, Kommunikation, Abgrenzung und Respekt sehr wichtig. Denn es gibt ja leider auch viele Menschen, die verletzende, übergriffige Erfahrungen mit Berührung gemacht haben, und diese Wunden brauchen Zeit zum heilen.
Von daher komme ich jetzt noch einmal zurück auf die Ausgangsfrage:
Beim Biodanza, muss man sich da anfassen?
Nein, man MUSS gar nichts! Du hast viele Möglichkeiten zu tanzen, anderen Menschen zu begegnen, und in jedem Moment selber zu entscheiden, welcher Kontakt für dich stimmt! Das geht jedem von uns so. Mal brauchen wir Abstand, mal Nähe, mal eine warme Umarmung, mal viel Freiraum um uns zu entfalten und auszudrücken.
Biodanza ist ein Raum der Erlaubnis. Du kannst ihn für dich nutzen z.B. um Schritt für Schritt, mit viel Spaß und in deiner Zeit, mehr Sicherheit zu gewinnen im Umgang mit Menschen, mit Nähe und Distanz, mit Berührung und Zärtlichkeit. Du kannst dich selbst besser kennenlernen, zu deinem Körper eine gute Beziehung aufbauen und herausfinden, wie du dein Leben und dein Miteinander mit anderen Menschen gestalten möchtest, in vielerlei Hinsicht, eben auch im Feld der Berührung.
Wie geht es dir mit dem Thema? Ich freue mich über Kommentare!